Heidrun Jakobs - 02. Dezember 2012
Alles wird gut, dachte ich und wir geben den Dingen ihren Lauf im Fall Mollath: Die bayerische Justizministerin Merk will den Fall neu aufrollen lassen, sprich, sie hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg angewiesen, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen. Ebenso werden die Unterbringungsvoraussetzungen nochmals begutachtet und entschieden, hoffentlich jetzt von tatsächlichen Koryphäen und die Staatsanwaltschaft Bayreuth hat ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet, unter anderem wegen Freiheitsberaubung gegen im Fall Mollath beteiligte Personen.
Aber nichts ist gut! Die Art und Weise, wie die bayerische Justiz beabsichtigt, den Fall Mollath aufzuarbeiten, ist schlichtweg ein weiterer Skandal.
Warum? Ja, warum ermittelt die Staatsanwaltschaft Bayreuth gegen Unbekannt? Sind die am Fall Mollath beteiligten Personen nicht namentlich bekannt? War da nicht der Vorsitzende Richter Otto Brixner, der bei den Finanzbehörden anrief und Mollath, lange bevor die umstrittenen psychiatrischen Gutachten vorlagen, bezichtigte, nicht klar bei Verstand zu sein, worauf die Finanzbehörden Nürnberg den Fall zu den Akten legte? Otto Brixner urteilte dennoch knapp 2 Jahre später über den Fall Mollath und schickte ihn in die geschlossene Psychiatrie. Die Nürnberger Nachrichten, die diesen Skandal im Skandal jetzt aufdeckten, werden noch weitere Recherchearbeiten im Hinblick auf das Motiv Brixners im Zusammenhang mit den von Mollath benannten Schwarzgeldtransfers auch namhafter, bekannter politischer „Persönlichkeiten“ zu leisten haben.
„Ungereimtheiten“ und „mögliche Befangenheit“ nennt Ministerin Merk das und beschwichtigt und bagatellisiert damit schlichtweg ein richterliches Verhalten, das einer strafrechtlichen Überprüfung unterzogen werden muss, stehen hier doch Tatbestände wie Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt u.s.w. im Raum, wie die Süddeutsche schreibt.
Und war da nicht eine Staatsanwältin, die sich weigerte auf die Strafanzeige Mollaths hin Ermittlungen einzuleiten? Eine Strafanzeige, die so konkret war, dass sich ein Anfangsverdacht quasi aufdrängte und die Einleitung von Ermittlungen zwingend geboten war, wie der Hamburger Strafrechtler Strate in seinem Gutachten feststellte und zudem eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung im Amt in Betracht kommt, wie der Regensburger Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller meinte.
Nichts von dem ist zu lesen in den Pressemitteilungen der Justiz Nürnberg. Gar nichts. Stattdessen beschimpft die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg in ihrer Pressemitteilung vom 27.11.2012 die einseitige Berichtserstattung in den Medien und zieht sich mit einer schon rechtsstaatfeindlichen Ignoranz auf drei unabhängige Gutachter zurück, von denen die Öffentlichkeit längst weiß, wie sie ihre Gutachten erstellt haben! Eine Pressemitteilung im Übrigen, die vom Justizpressesprecher, Richter am OLG Dr. Michael Hammer auf der Homepage der Justiz Nürnberg veröffentlicht wurde, so dass man sich schon fragt, wieso spricht ein Richter am OLG für die Generalstaatsanwaltschaft? Oder geht das nach dem Motto: Alle für einen und einer für alle?
Und ist da nicht ein Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg, der noch am 19.11.2012 durch seine Sprecherin verkünden ließ:
„Für die Überprüfung von Urteilen wie dem im Fall Mollath ist nach dem Gesetz einzig und allein der Bundesgerichtshof zuständig. Dieser hat die gegen das Urteil des Landgerichts gerichtete Revision des Angeklagten verworfen. Das Urteil ist damit rechtskräftig. Es könnte allenfalls durch ein Wiederaufnahmeverfahren beseitigt werden. Dieser Weg wurde vom Angeklagten selbst nicht beschritten. Für eine weitere Überprüfung des Urteils von unabhängiger Seite ist in unserem Rechtssystem kein Raum“.
Und weiter:
„Es widerspricht diesen tragenden Prinzipien des Strafprozesses, Jahre später das Ergebnis der damaligen Beweisaufnahme anders zu bewerten, noch dazu, wenn die Argumentation des Gerichts unvollständig wiedergegeben wird“.
Unverhohlen dreist kann man da nur sagen, angesichts der Verhandlungsführung von Otto Brixner und dem Ablauf der Beweisaufnahme sowie dem vorliegenden Revisionsbericht der HVB, was auch dem Präsidenten des OLG Nürnberg bekannt gewesen sein dürfte. Und nicht zu vergessen die Pressemitteilung vom 30.11.2012 des 1. Vorsitzenden des Bayerischen Richtervereins, Walter Groß, der zugleich auch Vizepräsident des Amtsgerichts Nürnberg ist, der allen Ernstes der Auffassung ist, dass zu einer Überprüfung und Korrektur gerichtlicher Entscheidungen aus gutem Grund weder die Politik noch die Medien beauftragt oder selbsternannte „Experten“ berufen seien und damit einmal mehr einen richterlichen Absolutismus unter Beweis stellt, der in unserem Rechtssystem nichts zu suchen hat.
Richtig, die rechtsprechende Gewalt wurde den Richtern übertragen, legitimiert durch das Volk, durch uns alle. Bei Walter Groß scheint das noch nicht angekommen zu sein, muss doch seine Pressemitteilung so verstanden werden, dass sich die richterliche Gewalt aufführen darf wie Otto Brixner im Gerichtssaal, Recht und Gesetz nicht für Richter gelten und Vorwürfe wie Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung ohnehin unangebracht sind, da Richter einer Immunität unterliegen.
Nein, nichts wird gut! Die ignorante Herangehensweise der Nürnburger Justiz trotz auf dem Tisch liegender Fakten und der gebotenen, notwendigen unverzüglichen Aufarbeitung des Falls entspricht rechtsstaatlichen Geboten aber nun in wirklich keiner Weise. Ein Neuanfang ist erforderlich, damit sich der erhebliche Vertrauensschaden in die Justiz in Bayern nicht noch überträgt auf das ganze Land. Das wäre bitter!
Dazu gehört: Die sofortige Ablösung von Justizministerin Merk, oder wie soll das gehen, wenn die Staatsanwaltschaft Bayreuth oder München, die die Strafanzeige gegen Merk aus guten Gründen hin- und herschieben, jetzt Ermittlungen führen wollen oder sollen gegen Merk, der gegenüber sie doch weisungsgebunden sind? Die Verstrickung der Ministerin in ein Geflecht aus Unwahrheiten und Halbwahrheiten einmal ganz außen vor gelassen. Das wird ohnehin der bayerische Landtag in einem Untersuchungsausschuss zu klären haben.
Dazu gehört auch, dass die Ermittlungsverfahren gegen alle unmittelbar und mittelbar Beteiligten im Fall Mollath durch die Staatsanwaltschaft Bayreuth transparent und in der gebotenen Nachhaltigkeit entsprechend der Rechtslage unter Berücksichtigung von Persönlichkeitsrechten der Betroffenen öffentlich geführt werden, aber bitte nicht gegen „Unbekannt“. Oder soll weiterhin unter den Tisch gekehrt werden?
Und dazu gehört, dass das aktuelle Verhalten der Justiz in Nürnberg in dienstrechtlicher Hinsicht zu überprüfen ist, soweit unterlassen, begünstigt, beschwichtigt und klein geredet wird angesichts des größten Justizskandals der deutschen Nachkriegsgeschichte. Schmerzhaft dabei ist, und da gebe ich meinem Berliner Kollegen Hoenig recht, wenn er meint, dass der Begriff „Nürnberger Prozesse“ allmählich eine andere Bedeutung zu bekommen scheint.
Deutschland hat sich empört und der Nürnberger Justiz gemeinsam mit den Medien gezeigt, wo die Grenzen der richterlichen Unabhängigkeit liegen. Weil die Nürnberger Justiz ihre richterliche Unabhängigkeit aber immer noch als einen Freifahrtsschein für eine Reise nach "Über mir der blaue Himmel" ansieht, muss die öffentliche Diskussion weiter gehen als leider notwendiges Korrektiv für einen richterlichen Absolutismus in einem demokratischen Rechtsstaat. Einen Fall Mollath darf es nie wieder geben!
Yes, we do!